Bürgerlich – wofür steht dieser Begriff eigentlich genau?

Kann man einer linken Partei angehören und trotzdem bei der Wirtschaftspolitik meist bürgerliche Werte vertreten? Dass das geht, macht das Beispiel der KMU-geprüften Regierungsratskandidatin Claudia Huser von der glp deutlich. Und es steht gleichzeitig dafür, dass die Definition für den von Politikern und Medien gerne verwendeten Begriff «Bürgerlich» eine ziemlich diffuse ist.

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Sie wussten im Vorstand des KMU- und Gewerbeverbandes Kanton Luzern (KGL), dass ihre Wahlempfehlung schwierig zu kommunizieren ist. Und darum hatten sie mit der medialen Reaktion gerechnet. Dass der KGL die glp mit der Wahlempfehlung von Regierungsratskandidatin Claudia Huser zum bürgerlichen Lager zähle, stand geschrieben.

Der in der Zentralschweiz reputierte Politikberater Iwan Rickenbacher sagt dazu: «So schwierig es ist, einzelne Politiker definitiv zwischen ‹Bürgerlich› und ‹Nichtbürgerlich› einzuordnen, so anspruchsvoll ist es, Parteien einzuteilen. Für die Einen gehören die Grün-Liberalen im Kanton Luzern zum bürgerlichen Lager, für die Anderen in keiner Weise.»

Zemps Haltung und Rickenbachers Präzisierung
KGL-Direktor Gaudenz Zemp hat dazu eine dezidierte Haltung: «Claudia Huser politisiert in wirtschaftlichen Fragen zwar oft bürgerlich. Aber die glp verorten wir nicht im bürgerlichen Spektrum der Parteien.»

Selbst die Mitte wird von Konkurrenten gelegentlich aufgefordert, sich auf ihre bürgerlichen Wurzeln zu besinnen. Dem rechten beziehungsweise linken Lager sind also nur die FDP und SVP sowie die SP und die Grünen eindeutig zuweisbar. «Das scheint zumindest so», präzisiert Iwan Rickenbacher. «Sobald aber die Haltungen einzelner Exponentinnen und Exponenten zu konkreten politischen Fragen geprüft werden, verschwimmen die Konturen wieder.»

Aber woher kommt der Begriff «Bürgerlich»? Er reicht zurück in die Französische Revolution. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts haben sich die Citoyens (Bürger) und die Bourgeois (Besitzbürger) gegen die Aristokraten aufgelehnt und kämpften für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Daraus entstand ein Mittelstand, der auf Eigentumsschutz, Sicherheit und eine florierende Wirtschaft angewiesen war. Arbeit musste sich lohnen. Dem Staat wurde eine nur unterstützende Funktion zugewiesen. «Der politische Kampfbegriff ‹Bürgerlich›, der die politischen Parteien in ‹Lager› aufteilt, in ein Links-Grünes und in ein Bürgerliches, ist relativ jung und blieb seit Anbeginn diffus. Vorab weil auch Anhängerinnen und Anhänger der ‹Linken› durchaus auch bürgerliche Werte leben», so Rickenbacher.

Unterschiede in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen
Bleibt die Frage, welchen Sinn der Begriff «Bürgerlich» macht, wenn es keine klaren Abgrenzungen gibt. Iwan Rickenbacher sieht Unterschiede zwischen bürgerlichen und nichtbürgerlichen politischen Zielsetzungen «am ehesten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik». Doch schränkt der 79-Jährige ein: «Nur, die Haltungen sind auch in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen fliessend. Das zeigen die Auseinandersetzungen um die Altersvorsorge, die Corona-Massnahmen, die Asylfragen und die Gesundheitspolitik, um ein paar Beispiele zu nennen.»

«Bürgerlich» wird als Kampfbegriff so schnell aber nicht aus der Politik verschwinden. Dessen ist sich Iwan Rickenbacher sicher: «Zu gross ist das Bedürfnis, in einer unübersichtlicher gewordenen politischen Umwelt, die sich mit ihre Protagonisten immer mehr differenziert und individualisiert, einige Orientierungspunkte zu setzen.»   

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