Bruno Käch, die Initianten der 99%-Initiative fordern, dass Kapitaleinkommen anderthalb Mal so hoch besteuert werden wie Einkommen aus Arbeit. Mit diesem Zuschlag von 50 Prozent soll Steuergerechtigkeit hergestellt werden. Ihre Meinung?
Davon halte ich nichts. Die Initiative schafft vor allem eine neue grosse Ungerechtigkeit, indem Kapitaleinkommen inskünftig stärker besteuert werden sollen als Arbeitseinkommen. Das ist nichts anderes als eine Strafsteuer. Es gibt keinen sachlichen Grund, diese beiden Einkommensarten steuerlich unterschiedlich zu behandeln.
Die Initiative ziele auf die Besteuerung der «Superreichen». 99 Prozent der Schweizer Bevölkerung seien davon gar nicht betroffen.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Initiative trifft vor allem den Mittelstand und dort insbesondere die KMU-Unternehmer, freiberufliche Selbständigerwerbende, Familienbetriebe, Start-ups und auch Landwirte. In diesen Betrieben ist das Kapital steuerlich im Geschäftsvermögen gebunden. Kapitaleinkommen wird hier schon heute über Gebühr mit Einkommenssteuern von Bund und Kantonen sowie zusätzlich durch die AHV von über 40 Prozent belastet. Inhaber von KMU bauen vielfach ihre Altersvorsorge mit dem Besitz von Immobilien und Kapitalanlagen auf. Sie verkaufen beispielsweise ihr Unternehmen, eine Liegenschaft oder eine Kapitalanlage, um im Alter vom Kapitalertrag leben zu können. Es gibt keinen vernünftigen Grund, dieses Verhalten von Selbständigerwerbenden zu bestrafen.
Wo ist denn der Mittelstand sonst noch betroffen?
Betroffen davon wären insbesondere Arbeitnehmende, Kleinanleger, aber auch generell Personen, die körperliche oder gesundheitliche Nachteile erlitten haben. Arbeitnehmende beispielsweise, die sich bei der Pensionierung entweder ihr angespartes Alterskapital aus der beruflichen Vorsorge oder ihre Säule 3a auszahlen lassen wollen, werden dies dank der Initiative um 50 Prozent höher versteuern müssen. Die Steuerschuld wird sich dann wegen der Steuerprogression noch zusätzlich erhöhen. Auch Kapitalleistungen bei Tod sowie für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile, beispielsweise für Zahlungen aus Risikoversicherungen, gemischten Lebensversicherungen, Abgeltung aus Haftpflichtversicherungen oder aus privater Unfallversicherung, werden bei den betroffenen Personen neu höher besteuert.
Betroffen sind aber auch Wohneigentümer, oder?
Genau. Wenn sie ihre Liegenschaft, ein Einfamilienhaus oder Stockwerkeigentum verkaufen, werden sie ihr Kapitaleinkommen inskünftig nebst der Grundstückgewinnsteuer auch noch mit der direkten Bundessteuer und der Einkommenssteuer der Kantone abrechnen müssen.
Und wie steht es mit den Privatanlegern?
Privatanleger, die keine professionellen Wertschriftenhändler sind, müssen sich ihre bescheidenen Gewinne beim Verkauf von Wertpapieren in Zukunft ebenfalls besteuern lassen. Ausserdem muss davon ausgegangen werden, dass bisher steuerfreie Kapitalzahlungen für Genugtuungs- und Integritätsentschädigungen sowie für Kapitalzahlungen bei Scheidungen neu ebenfalls besteuert werden.
Würden Sie die heutige Regelung im Steuersystem als gerecht bezeichnen?
Es gibt kein objektiv gerechtes Steuersystem. Das heutige ist aber ausgewogen und folgt dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Aufgrund der steilen Progression werden hohe Einkommen schon heute stark besteuert. Zudem erhebt die Schweiz als eines von wenigen OECD-Ländern eine allgemeine Vermögenssteuer.
Also Nein zur 99%-Initiative?
Ganz klar Nein. Die Initiative will eine steuerliche Ungerechtigkeit beseitigen, schafft aber im Gegenteil neue Ungerechtigkeiten. Es mag paradox klingen, aber eigentlich trifft die Initiative eher 99 Prozent als nur 1 Prozent der Bevölkerung und wird so insbesondere für KMU und den Mittelstand zu einer eigentlichen Strafsteuer. Ich wiederhole: Es gibt keine sachlichen Gründe, Kapitaleinkünfte stärker zu besteuern als Arbeitseinkommen. Die Initiative schadet deshalb unserem Steuersystem.