Vor drei Jahren verliess Abdulrahman Jalloh im Alter von 16 Jahren sein Heimatland Liberia, um in der Schweiz ein gutes, sorgenfreies Leben zu führen. Das Vorhaben verkomplizierte sich aber massiv, als Abdulrahman auf der abenteuerlichen Flucht von seinem Onkel, der ihn begleitete, getrennt wurde. Dennoch schaffte er es in die Schweiz. In ein Land, das er nur vom Hörensagen kannte und dessen Kultur Welten von seiner eigenen entfernt ist. In der ersten Zeit lebte Abdulrahman im Asylzentrum in Rothenburg, ganz auf sich allein gestellt. Und stets bestrebt, seinen Onkel ausfindig zu machen. Bis heute vergeblich.
«Den kann man brauchen»
2019 bekam der junge Afrikaner einen Platz im Integrations-Brückenangebot (IBA) in Luzern. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg in ein neues Leben. Dank grosser Motivation erzielte Abdulrahman gute Fortschritte im Deutsch, eine der wichtigsten Voraussetzungen, um in der Berufswelt jemals Fuss fassen zu können. IBA-Lehrerin Irene Christen klopfte daraufhin bei der Ercolani Autospenglerei-Malerei AG in Kriens an. Sie hätte da einen Asylbewerber aus Liberia, der sich für Autos interessiert. Inhaber Flavio Ercolani erklärte sich spontan bereit, dem jungen Mann eine Chance zu geben. «Wenn Asylbewerber am Bahnhof oder auf der Strasse rumlungern, ist das für viele Leute ein Ärgernis. Wenn wir es schaffen, sie zu integrieren, profitieren wir letztlich alle.» So lud Ercolani den Flüchtling zu einem 1-wöchigen Schnupperpraktikum ein. Und er sollte für seinen Mut belohnt werden. Abdi zeigte sich überaus motiviert und war erst noch handwerklich geschickt. Und der Werkstattchef bestätigte: «Den kann man brauchen.»
Übers Praktikum zur Lehrstelle
Auch im anschliessenden Praktikum, das Ercolani dem jungen Afrikaner ab Februar 2020 anbot, vermochte dieser zu überzeugen. «Abdi lernt schnell, er saugt die Infos förmlich auf», stellte Flavio Ercolani fest. «Zudem ist er mit Freude bei der Sache, strahlt eine positive Energie aus und ist in jeder Beziehung eine Bereicherung für unseren Betrieb.» Und das obwohl er zu Beginn im Asylzentrum wohnte und abends kaum Schlaf fand, da seine Mitbewohner oft bis in alle Nacht hinein am Gamen waren. Das hat sich mittlerweile aber geändert. Heute lebt Abdi zusammen mit einem Flüchtling aus der Elfenbeinküste in einer WG in Kriens. Zweifellos eine gute Lösung. Dennoch würde sich Abdulrahman auch gerne mal mit Landsleuten austauschen. Solche scheint es in Luzern und Umgebung aber kaum zu geben. Kein Grund für Abdi, sich deswegen in seiner Wohnung zu verkriechen. Der junge Afrikaner schloss sich einem Fussballverein in der Stadt an und erteilt Afro-Tanzkurse. Jeden Freitagabend im Sälischulhaus in Luzern versucht er, Menschen jeden Alters und Geschlechts für zwei Stunden afrikanische Lebensfreude zu vermitteln.
«Keine Selbstverständlichkeit»
Da sich Abdulrahman weiterhin positiv entwickelte, beschloss Ercolani, ihm einen Lehrvertrag als Carrosseriespengler EFZ anzubieten. Im vollen Bewusstsein, dass er dafür mehr Aufwand betreiben muss als für einen Schweizer Lernenden. Doch das nimmt er gerne in Kauf. Als Unternehmer fühlt er sich verpflichtet, soziale Verantwortung wahrzunehmen. Anfang August war nun offizieller Lehrstart. Ercolani ist überzeugt, dass Abdi die anspruchsvolle 4-jährige Ausbildung packen wird. Trotz der sprachlichen Barrieren, die zweifellos noch vorhanden sind. Doch der heute 19-Jährige zeigt auch hier vollen Einsatz, liest deutsche Bücher und besucht jeweils samstags einen Deutschkurs. Und wenn das nicht ausreicht? «Dann werden wir ihm selbstverständlich zusätzliche Unterstützung anbieten», so Ercolani. Abdi weiss das grosse Engagement seines Chefs zu schätzen. Dass er hier eine fundierte Ausbildung machen darf, betrachtet er keineswegs als Selbstverständlichkeit. «Das hier ist die Chance meines Lebens. Die will ich unbedingt packen.»