«Die erhoffte Objektivität der KI kann auch zum Nachteil werden»

Menschen, die sich auf einen Job bewerben, können Künstliche Intelligenz nutzen, um ihr Motivationsschreiben inhaltlich, sprachlich und orthografisch zu veredeln. Genauso kann der HR-Bereich eines Unternehmens diese Dienste einsetzen, um das Auswahlverfahren zu vereinfachen. Stephanie Briner, eine in Luzern ansässige Personalberaterin, nimmt Stellung zu Chancen und Risiken beim Einsatz von KI.

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Ganz allgemein: Welche Chancen sehen Sie beim Einsatz von künstlicher Intelligenz in Ihrem Job?
Meine Wahrnehmung ist, dass sich viele Personalverantwortliche beziehungsweise Recruiter zurzeit mit KI befassen – jedoch mehrheitlich noch beobachtend. Im Rekrutierungsprozess geht es um die Passung von Menschen zu Menschen und Menschen zu Unternehmen (Stichwort Unternehmenskultur). Diesen Entscheid bei Schlüssel-positionen komplett an eine Maschine zu delegieren, erachte ich als eher unwahrscheinlich. In der Schaffung von Entscheidungsgrundlagen spielen die Digitalisierung, Automatisierung bereits eine wichtige Rolle und dabei wird uns auch KI in Zukunft des Öfteren begegnen. Der grösste Vorteil liegt in der Objektivität. Zudem können Prozessautomatisierungen den Workload von Mitarbeitenden im Recruiting stark reduzieren. Ein grosses Potential besteht in einem guten Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine.

Und welche Risiken?
Die erhoffte Objektivität der KI kann auch zum Nachteil werden. Je nachdem, wie Algorithmen geprägt sind, können sie zum Multiplikator von Vorurteilen und Stereotypen werden. Zudem kann durch KI der Einstieg von passenden Quereinsteigenden schlecht erfasst werden, weil diese jeweils ausserhalb des gesuchten Profils zu wenig Spielraum zulassen. Ein Risiko, welches gerade in Branchen mit hohem Fachkräftebedarf nicht eingegangen werden sollte.

Stephanie Briner ist Leiterin der Niederlassung Luzern und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Jörg Lienert AG. Sie ist versiert auf Themen wie digitale Transformation, Diversity und flexible Arbeitsmodelle und berät Unternehmen mit ihren vertieften Fachkenntnissen.  (Bild zvg)

Setzen Sie Künstliche Intelligenz beim Rekrutieren von Jobkandidatinnen und -kandidaten bereits ein?
Nein. Wir nutzen jedoch viele Vorteile der Digitalisierung, um den facettenreichen Prozess der Suche und der Wahl weiter zu optimieren. Wir setzen auf die Beurteilung durch die Mandatsleitenden und auf jene der Auftraggebenden. Jahrelange Expertise sowie der enge Kundenkontakt ermöglichen bei jedem Mandat eine individuelle und angepasste Betreuung. Bei den Assessments bedienen wir uns verschiedener wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Diagnostik, die wir mit unseren Erfahrungen anreichern.

Auch Personen, die sich auf einen Job bewerben, können auf KI zurückgreifen. In welchen Fällen raten Sie zum Einsatz, in welchen Fällen hingegen davon ab?
Ein sehr spannendes Thema. Und im Bereich HR schreibt zum Beispiel ChatGPT innert Sekunden pfannenfertige Motivationsschreiben, die von denjenigen von echten Bewerbenden kaum zu unterscheiden sind, sendet automatisch intelligente Antworten an Bewerbende und Mitarbeitende, erstellt Arbeitsverträge und Schulungsunterlagen oder analysiert die Daten aus Mitarbeiterbefragungen. Stand heute ist in diesem Bereich extrem viel möglich. Die Frage ist, wie uniform, allgemein diese Formulierungen in einer Bewerbung sind – und wie gross die Ernüchterung bei einem Erstgespräch sein wird, wenn die Bewerbenden nicht mehr auf der Unterstützung von ChatGPT aufbauen können.

Welches Potenzial sehen Sie für KI in Zukunft im Bereich Human Resources?
Das Recruiting hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Viele dieser Veränderungen sind wohl in der Prozessdigitalisierung und Automatisierung anzusiedeln. Die effektive Anwendung von KI schätze ich aktuell auf wenige Prozente. Ich vermute, dass die Schweizer Unternehmen in den kommenden fünf bis zehn Jahren auch noch stark mit weiteren Automatisierungsprozessen beschäftigt sein werden – auch im Rekrutierungsprozess ist Potenzial in diesem Bereich vorhanden und wird vermutlich weiter ausgebaut.

Kennen Sie Firmen, erst recht im Kanton Luzern, bei denen im HR-Bereich schon auf KI gesetzt wird?
Nicht persönlich. Jedoch zeigen Umfragen, dass KI bei Grosskonzernen zum Alltag gehören – schon aufgrund der Datenmengen. Bei KMUs wird mehrheitlich (noch) auf klassische Such- und Selektionsprozesse gesetzt.

Einsatz von KI bei Seminararbeiten: Eine Fakultät der Universität Luzern startet im Herbst Pilot

Warum viel Kopfarbeit, Zeit und Energie in eine wissenschaftliche Arbeit investieren, wenn es doch ChatGPT gibt? Das Risiko, dass es sich die Lernenden bei einem Studiengang dank Künstlicher Intelligenz (KI) bequem einrichten können, scheint an der Universität Luzern gering zu sein. Denn Lukas Portmann, Kommunikationsbeauftragter dieser Uni, gibt zu bedenken: «Aktuelle KI-Anwendungen können die Anforderungen wissenschaftlicher Arbeiten nicht erfüllen, beispielsweise bezüglich Zitieren oder auch hinsichtlich der inhaltlichen Tiefe.»
Doch damit ist das Thema KI bei der Universität Luzern nicht vom Tisch. Schliesslich ist die Entwicklung von KI eine rasante. «Für Forschung und Lehre ergeben sich durch den Einsatz von KI spannende Möglichkeiten. Wir müssen lernen, diese sinnvoll zu nutzen und gleichzeitig kritisches Denken und selbstständige Analyse noch stärker in den Fokus akademischer Lehren rücken», so Portmann.
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Uni Luzern geht nun einen Schritt weiter. Dort sei im Rahmen einer Einführungsveranstaltung im nächsten Herbst ein Block vorgesehen, in dem die Verwendung von KI thematisiert werde. «Die Fakultät hat im Rahmen eines Pilots in einer Ergänzung zum Reglement für Seminararbeiten die Verwendung von KI-Ressourcen wie ChatGPT geregelt. Der Einsatz ist demnach erlaubt, muss aber ausgewiesen werden. Zudem dürfen von KI-Ressourcen wie ChatGPT generierte Texte nicht unverändert übernommen werden», sagt Lukas Portmann.

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