Für diese Szenerie müsste man sich eigentlich bei jedem anderen Gast entschuldigen: Als Jérôme Martinu zum Gespräch fürs KMU-Magazin das Büro der Kommunikationsagentur am Pilatusplatz in Luzern betritt, ist der Boden mit Schutzvlies ausgelegt – und es rumort auf der Terrasse. Handwerker verlegen gerade einen neuen Terrassenboden draussen, direkt vor dem Sitzungszimmer. Holzelemente werden in Form geschnitten, es wird gebohrt und gehämmert. Den neuen KGL-Direktor stört das überhaupt nicht – im Gegenteil: «Passt ja perfekt!», entfährt es ihm mit einem Lächeln. «Habt ihr die etwa extra organisiert für den Termin?» Tatsächlich bieten die Handwerker den idealen Rahmen für das Interview. Schliesslich geht es ja ums hiesige Gewerbe, die Rahmenbedingungen, Chancen und Risiken für ebendieses. Und zwar nicht nur im Interview, sondern eben ganz handfest – im Tagesgeschäft des neuen starken Mannes an der Spitze des KGL.
Jérôme Martinu ist pünktlich erschienen – und bester Laune. Für ein vorgängiges Mittagessen hat ihm an diesem Tag die Zeit gefehlt; er ist direkt von einem anderen Termin ins Stadtzentrum gekommen. Und, hat er sich vorbereitet? «Ja, so gut es halt ging», sagt er – und platziert sein Tablet auf dem Tisch für Notizen, und um das eine odere andere im Verlauf des Gesprächs nachzuschauen. Wir haben uns für diesen Text aufs «du» verständigt. Zu viel Förmlichkeit muss KGL-intern ja nun wirklich nicht sein.
Jérôme, du bist nun schon einige Monate im Amt, zuerst in einem Teilpensum, seit August Vollzeit. Wie hast du dich eingefunden im KGL?
Der Start war absolut perfekt. Ich weiss nicht, wie man einen solchen Übergang besser hätte gestalten können: Gaudenz Zemp hat alles akribisch vorbereitet, er hatte alle wichtigen Aspekte seiner – und nun meiner – Arbeit in verschiedenen «Paketen» gebündelt, und mir diese eins ums andere übergeben. Das Tolle an dieser Start-Lösung, die so auch vom Vorstand mitgetragen wurde, war, dass ich genügend Zeit bekommen habe. Eigentlich: dass alle genügend Zeit bekommen haben. Das war enorm wertvoll. Ein grosses Dankeschön an der Stelle an Gaudenz, aber auch den Vorstand und die ganze Geschäftstelle.
Du hast sie gerade angesprochen: Mit der KGL-Geschäftsstelle hast du nun ein völlig neues Team um dich. Gabs da Berührungsängste zu Beginn?
Überhaupt nicht. Die KGL-Crew hat mich während der Übergangsphase hervorragend unterstützt. Überhaupt war es einer meiner ersten grossen Positiv-Momente, als ich feststellte, dass die Geschäftsstelle perfekt funktioniert. Hier greift jedes Zahnrad ineinander – jede und jeder ist hilfsbereit, kennt sein Aufgabengebiet und weiss, was er tut. Ich habe schnell gemerkt: Hier kannst dich von Anfang an voll auf deine Kernaufgaben konzentrieren.
Du hast bekanntermassen viele Jahre als Journalist gearbeitet, zuletzt die «Luzerner Zeitung» und ihre Regionalausgaben während fast acht Jahren als Chefredaktor geleitet. Konntest du aus dieser Zeit etwas mitnehmen in deine neue Funktion als KGL-Direktor?
Erfreulicherweise gibt es viel mehr Parallelen zwischen diesen beiden Tätigkeiten, als man von aussen vielleicht meinen könnte. Dass es kein grosser Unterschied sein würde, ein Team dort oder ein Team hier zu leiten, das war mir klar. Sowohl bei der Zeitung als auch beim KGL geht es immer um Menschen – darum, sie ernstzunehmen, ihnen Verantwortung zu übertragen und einander gegenseitig zu unterstützen.
Welche weiteren Parallelen hast du festgestellt?
Ich habe schnell gemerkt, dass sich auch beim KGL sehr vieles um Kommunikation dreht. Wer ein Thema behandelt und es dann gegen aussen vertritt, muss es verstehen. Wer andere vom Sinn oder Unsinn eines Vorhabens – oder eines politischen Vorstosses – überzeugen will, der muss die richtigen Argumente finden – und Zusammenhänge aufzeigen können. Das konnte ich als Journalist – und das kann ich auch als KGL-Direktor. Nur jetzt natürlich als parteilicher Akteur mit noch klarerer Kante als zuvor.

Du sprichst es an: Als Journalist musstest du oft neutral und ausgeglichen berichten. Als KGL-Direktor schlägst du dich nun aber voll auf die Seite des Gewerbes. Wie leicht fällt dir dieser Wechsel vom Beobachter hin zum Interessenvertreter?
Offen gesagt ziemlich leicht. Denn ich hatte schon als Journalist meine Überzeugungen und meine Positionen, insbesondere wenn es um politische Fragen ging. Ich denke, jeder, der meine Leitartikel und Kommentare verfolgte, hat gemerkt, dass ich ein bürgerliches Profil habe. Zudem habe ich mir bei der Zeitung über die Jahre ein grosses Netzwerk aufbauen können. Ergo: Ich kenne sehr viele Leute aus dem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umfeld im Kanton Luzern. Das hilft mir bei der Arbeit für den KGL sehr. Ich komme nicht irgendwo hin und muss mich zuerst schlau machen, wer denn da alles zugegen ist, sondern kenne den Grossteil der Akteurinnen und Akteure und deren Positionen bereits.
Gab es einen besonderen Moment seit deinem Amtsantritt, in dem dir bewusst wurde, dass du nun definitiv die Seiten gewechselt hast?
(lacht) Ja, es gab zwei davon. Als ich zum ersten Mal einen Leserbrief geschrieben und der LZ zugeschickt habe, wusste ich: «Jetzt ist der Vollzug komplett». Und als ich dann auch das erste Grusswort überbringen und das Band zur Eröffnung der Gewerbeausstellung in Reiden durchschneiden durfte, stand ich endlich auch bei unserer tragenden Mitgliederbasis mittendrin.
Der Austausch mit Jérôme ist locker, die Gespräche schweifen gerne auch mal ab. Man kommt auf diesen und jenen Aspekt zu sprechen – auch auf Anekdoten aus der Vergangenheit sowie Aktuelles und Weltpolitisches. Was immer wieder zum Thema wird, ist die Rolle des KGL – und das Image, das ihm links-grüne Kreise so gerne andichten: «Die da oben, die Unternehmer! Denen geht es ja sowieso schon gut genug!» So lautet das Narrativ, das rund um den KGL immer wieder bewirtschaftet wird. Soweit ja nichts Neues oder Ungewöhnliches, und dennoch: Man merkt, dass das den neu angetretenen KGL-Direktor schon umtreibt. «Völlig an der Realität vorbei» werde da von der Gegenseite bisweilen argumentiert, sagt er. Das sei «schon immer wieder erstaunlich». Vor allem, wenn man sich vor Augen führe, dass rund zwei Drittel aller Beschäftigten im Kanton Luzern ja in einem KMU tätig seien. «Wie kann man den KGL denn da als etwas Elitäres oder Abgehobenes darstellen? Das ist absurd.» Doch auch wenn ihn etwas wie das offenkundig aufregt: Seine ruhige, reflektierte Art behält Jérôme stets bei. Wer an der KGL-Spitze auf einen «Polteri» gehofft hatte, der wird in Zukunft merken: Nein, so einer ist der 50-jährige Krienser definitiv nicht. Seine Stärken liegen nicht in der Lautstärke, sondern im Inhalt.
Während des Interviews überlegt er manchmal, hält einen Moment lang inne. Aber meist nicht, weil er sich überlegen würde, was er als nächstes sagen will – sondern vielmehr: wie. «Ich denke, bei allen klaren Positionen, die ich für die KMU-Wirtschaft und fürs Gewerbe vertrete, geht es immer auch um Sachlichkeit – und den richtigen Stil. Wer sich nur Aufmerksamkeit verschaffen will, der wird schnell enttarnt. Was zählt, sind am Schluss immer Argumente. Effekthascherei bringt niemanden vorwärts. Erst recht keinen Verband mit 13'500 Mitgliedschaften.»
Als «Gesicht» dieses grössten Luzerner Wirtschaftsverbandes wirst du künftig sicherlich auch mal zur Zielscheibe von Gegnern. Wie gehst du persönlich mit Kritik um?
Ich denke, da gibt es zwei Ebenen: Kommt Kritik am KGL als Verband auf, dann empfinde ich das als etwas Positives – ja sogar als Kompliment. Denn wer kritisiert wird, dessen Positionen werden wahrgenommen. Und so kann Kritik und eine entsprechende Reaktion darauf als Basis für den weiteren Diskurs dienen. Wenn es jedoch persönlich wird, also wenn «direkt auf den Mann geschossen» wird, dann sieht es natürlich schon etwas anders aus. Da würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das komplett kalt lässt. Schliesslich bin ich ja nicht nur Funktionär, sondern auch noch Privatperson. Ich weiss als ehemaliger Chefredaktor einer viel gelesenen und auch kontrovers diskutierten Zeitung jedoch durchaus mit persönlicher Kritik umzugehen. Man entwickelt da über die Jahre seine eigenen Strategien.
Du sagst über dich selbst, dass du ein liberales Profil hast, du gehörst allerdings keiner Partei an. Ist das als KGL-Direktor ein Problem?
Ich denke nicht. Jeder weiss, dass ich als KGL-Direktor die Anliegen unserer Mitglieder und demnach klar bürgerliche Positionen vertrete. Diese können mal näher bei der einen und mal näher bei der anderen Partei liegen. Auch beim KGL kommt es ja durchaus vor, dass an einer Politikversammlung mal nicht alle Anwesenden gleicher Meinung sind. Dann werden die Argumente dargelegt, letztlich demokratisch abgestimmt und so die Verbandshaltung offizialisiert. Jede und jeder darf so denken, wie er will. Genau so soll es sein. Unter dem Strich wollen wir ja alle dasselbe: nämlich das Beste für die hiesige KMU-Wirtschaft.

Eine Parteimitgliedschaft hätte aber schon auch ihre Vorteile...
Natürlich ist man näher dran, kann direkter Einfluss nehmen, wenn man beispielsweise als Kantonsrat im Parlament sitzt. Dafür bräuchte man definitiv eine Partei im Rücken. Als Parteiloser ins Rennen für ein politisches Amt im Kanton Luzern zu steigen, käme für mich nicht in Frage.
Bestimmt gab es schon entsprechende Anfragen von Luzerner Parteien, oder?
(schmunzelt) Ja, die gab es.
Von wem denn?
Sagen wir es mal so: Von den drei grossen bürgerlichen Parteien im Kanton haben mich zwei angefragt.
Und die Antwort lautete beide Male vehement nein – oder «abwarten»?
Im Moment stimmt es so, es gibt auch keinen Zeitdruck. Aber ich schliesse nicht aus, dass ein Parteieintritt dereinst vielleicht sinnvoll wäre.
Du bist Mitglied der Luzerner Maskenliebhabergesellschaft (MLG). Diese zunftähnliche Vereinigung hält in ihrem Statut fest, dass sich ihre Mitglieder «am freisinnig-liberalen Welt- und Gesellschaftsbild orientieren». Wenn du anstelle eines Fasnachts- also einen Partei-Hut tragen würdest, dann am ehesten ein blauer. Oder?
Gut recherchiert. Ich lasse das mal so stehen.
Von den drei grossen bürgerlichen Parteien im Kanton haben mich zwei angefragt.
Als neuer KGL-Direktor bist du sicherlich schon oft nach deiner Vision für den Verband gefragt worden. Gibt es denn eine solche?
Vision ist mir etwas zu hoch gegriffen. Wir haben keine «KGL-Vision 2040» in der Schublade oder Ähnliches. Ich orientiere mich lieber an konkreten Zielen. Und solche habe ich zusammen mit dem Vorstand natürlich.
Dann lass' uns über Ziele reden. Was steht im Fokus?
In erster Linie ist das Ziel, unseren Mitgliedern möglichst viel praktischen Nutzen zu bieten als Verband. Wir möchten weiterhin als Netzwerk- und Austauschplattform fürs Gewerbe, aber auch für die Politik dienen. Wir möchten Unternehmen zudem komplexe Geschäfte zugänglich machen und deren Interessen im politischen Prozess tatkäftig vertreten. Auch soll der KGL konkrete Hilfe anbieten in Bereichen, welche alle Unternehmen gleichermassen betreffen. Etwa in der Fachkräftesicherung. Es ist nicht nur elementar wichtig, dass heute noch genügend Berufsleute zur Verfügung stehen, sondern vor allem auch morgen. Konkrete KGL-Instrumente wie etwa die Lehrstellenbörse oder die kantonalen Berufswahlparcours bieten Support. Da sind wir als Verband enorm engagiert – und wollen es auch weiterhin sein. Wir müssen den Jungen klarmachen, dass es sich lohnt, eine Berufslehre zu absolvieren, gerade auch um gute Karriere-Aussichten zu haben.
Der Blick schweift nach draussen, auf die Terrasse. Dort nimmt der neue Holzboden im Verlauf des Gesprächs Formen an. Der Chef des Handwerksbetriebs hat in der Kaffeepause erzählt, er könne sich vor Aufträgen kaum retten. Akquise? Ein Fremdwort. Der 40-jährige Unternehmer sagt, er habe einen Auftrag nach dem anderen, könne gar wählen, was er annimmt und was nicht. Es laufe wirklich «wie gestört». Natürlich sei die Büez anstrengend, aber es sei eben auch schön, wenn man so arbeiten könne und unternehmerische Freiheit habe. Eine Steilvorlage für Jérôme. «Genau darum geht es doch», sagt er. «Da ist ein ursprünglich gelernter Schreiner zum Unternehmer geworden, führt heute seine eigene Firma. Solche Berufsmöglichkeiten müssen wir noch viel stärker ins Bewusstsein rücken bei der Berufswahl – und generell in der Berufsbildung.»
Welche grossen Themen gilt es sonst noch zu bewirtschaften?
Sicherlich ist die Digitalisierung ein grosses, wichtiges Feld. Wir sind uns bewusst, dass wir hier als Verband keine fertigen Lösungen anbieten können. Jedes Unternehmen muss selber konkrete Schritte einleiten. Wir können seitens KGL aber dabei behilflich sein, Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen, vielleicht auch: gewisse Berührungsängste abzubauen. Denn Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind Themen, die in unterschiedlicher Ausprägung alle KMU betreffen.
Das Gespräch endet, Jérôme hat noch Termine. «Schon cool, diese Aussicht hier vom Büro aus», sagt er, als er von oben auf den Feierabendverkehr am Pilatusplatz blickt. Auf die Frage, ob ihm die Hektik des Grossraumbüros in der Zeitungsredaktion hin und wieder fehle, entgegnet er: «Nein, nicht im Geringsten. Ich habe ja nun den besten Arbeitsplatz, den man sich wünschen kann – mein Grossraumbüro ist der Kanton Luzern.»
Jérôme Martinu
Geboren am | 1. Juli 1974 |
in | Luzern |
Geschwister | Eine Schwester |
Zivilstand | Verheiratet |
Kinder | Drei (im Teenager-Alter, respektive |
Wohnhaft in | Kriens |
Was dich morgens aus dem Bett bringt, an einem Tag, an dem du eigentlich am liebsten liegen bleiben würdest:
Die Aussicht auf weitere spannende, herausfordernde und überraschende Aufgaben im Einsatz für die Luzerner KMU-Wirtschaft.
Das Buch, das gerade auf deinem Nachttisch liegt:
«Fire & Blood» von George R. R. Martin.
Die Zeitung oder das Nachrichtenmagazin deiner Wahl:
Luzerner Zeitung & NZZ am Sonntag.
Dein Lieblingsort in Luzern, wenn du abschalten willst:
Am Seeufer, mit schweifendem Blick übers Wasser in die Berge. Skifahren hilft auch. Oder dann die Fasnacht.
Die letzte Veranstaltung, die dich absolut begeistert hat:
Konzert der Band «Wanda», im X-TRA, Zürich.
Tee oder Kaffee – und wie du ihn am liebsten trinkst:
Espresso, schwarz.
Morgenritual, auf das du nicht verzichten möchtest:
Zeitung (gedruckt) und Kaffee.
Film oder Serie, die du schon am häufigsten Freunden weiterempfohlen hast?
Ted Lasso.
Album, das in keinem guten DJ-Koffer fehlen darf:
Abba, Greatest Hits.
Ratschlag, den du deinen Kindern fürs Leben mitgibst:
Bleibt möglichst unvoreingenommen.
Firma, die du gründen würdest, wenn du eine gründen müsstest:
Ein KMU natürlich: die «Tenuta Martinuta» mit entsprechendem Weinberg.
Auto, das du dir morgen kaufen würdest, wenn Geld keine Rolle spielt:
Ein möglichst reichweitenstarkes E-Mobil.
Zitat, Motto oder Lebensweisheit, die du für besonders klug hältst:
«Wer lächelt, statt zu toben, ist immer der Stärkere.»

Abschalten, Natur und Pulverschnee geniessen: Der neue KGL-Direktor fährt im Winter gerne Ski, wenn er mal Zeit dafür hat. (Bild: zvg)

Im Berufsleben ein Teampleayer – an der Fasnacht aber gerne auch mal als Einzelmaske unterwegs: Jérôme Martinu als Mitglied der Maskenliebhaber-Gesellschaft Stadt Luzern. (Bild: zvg)