Michaela Tschuor: «Laufen im Wald hilft mir, den Kopf freizumachen»

Im Leben von Michaela Tschuor steht eine einschneidende Veränderung an: Die KMU-geprüfte Mitte-Politikerin ist im ersten Wahlgang zur neuen Regierungsrätin gewählt worden. Damit ist die Wikonerin die erste Frau in der Luzerner Exekutive seit 2015. Wir haben die 45-jährige Mutter von drei Kindern und Unternehmerin über private, berufliche und politische Herausforderungen befragt.

Veröffentlicht am

Durch die Wahl werden Sie Ihr Leben grundlegend umstellen müssen. Wo sehen Sie für sich persönlich die grösste Herausforderung?
Meine grösste Herausforderung wird sein, mich im ersten Amtsjahr gut zu organisieren und zu priorisieren. Mich interessiert sehr vieles und ich lerne gerne neue Organisationen, Menschen und Themen kennen. Daher habe ich mir fest vorgenommen, meine Interessen und Termine so auszurichten, dass sie meine Agenda nicht sprengen und ich mich vertieft einarbeiten kann.

Sie kommen aus den überschaubaren Strukturen einer regionalen Tierklinik in einen kantonalen Grossbetrieb. Was reizt Sie daran?
Die Tierklinik ist ein KMU der Privatwirtschaft. Daher bewegt man sich grundsätzlich freier als man das in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft kann. Budget- oder Strategieentscheidungen sind gerade als Mitglied der Geschäftsleitung eines KMU auf kurzem Weg zu treffen. Unser Betrieb ist mit rund 80 Mitarbeitenden auch personalrechtlich noch recht überschaubar und gut führbar.
Die Rahmenbedingungen im öffentlich-rechtlichen Bereich sind enger, teilweise auch sehr traditionell. Sie basieren auf rechtsstaatlichen Vorgaben und demokratischen Prozessen. Das macht das Arbeiten in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft sehr spannend, herausfordernd und vielfältig. Als Departementsvorsteherin hat man es zudem mit einem sehr interdisziplinär zusammengesetzten Verwaltungsteam zu tun. Strategien, grössere Ausgaben, Investitionen und Optimierungen unterliegen in aller Regel parlamentarischen Prozessen. Genau diese vielfältigen Aspekte des Planens, Umsetzens, Mehrheiten abholen und Gestaltens reizen mich enorm.

Was wird Ihnen schwerfallen?
Derzeit gleisen wir meine Verabschiedung aus unserem Unternehmen auf und ich bin gerade daran, alle Aufgaben zu übergeben. Es fällt mir schwer, mich einerseits von unseren Mitarbeitenden zu verabschieden und andererseits zu wissen, dass ich künftig nicht mehr Teil dieses Teams sein werde und auch nicht mehr mitentscheiden kann. Aber das gehört dazu.

Wie pendeln Sie künftig von Ihrem Wohnort Wikon ins Regierungsgebäude in Luzern?
Wenn immer möglich, werde ich mit dem Zug nach Luzern reisen. Es wird aber auch Tage geben, an denen ich auf mein e-Auto zurückgreifen werde.

Wo sehen Sie aus Ihrem Alltag heraus die Prioritäten der kantonalen Mobilitätspolitik?
Aus meinem Alltag heraus stelle ich das fest, was viele Mitmenschen vermutlich auch feststellen: Stau auf dem Weg zur Arbeit, Stau in den Städten, keine oder unattraktive öV-Anbindungen in ländlichen Lebens- und Arbeitsregionen und im Vergleich zu den umliegenden Kantonen wären auch überregionale, sichere Veloverbindungen von Vorteil.

Darum werden Sie es sicher begrüssen, dass das Parlament den Planungsbericht «Zukunft Mobilität Luzern» zustimmend zur Kenntnis genommen hat.
Richtig. Der Planungsbericht gibt der Regierung nun das richtige Instrument in die Hand, um die entsprechenden Mobilitätsmassnahmen für alle Regionen sowie für die unterschiedlichen Bedürfnisse des Wirtschafts-, Pendlers-, und Freizeitverkehrs abzuleiten. Ich freue mich daher sehr auf das «Programm Gesamtmobilität», dessen Erarbeitung voraussichtlich Mitte 2023 starten wird.
Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Herausforderungen haben in zeitlicher und politischer Hinsicht die Projekte Durchgangsbahnhof Luzern sowie die Umsetzung des Bypasses eine hohe Priorität nicht nur für unseren Kanton, sondern für die gesamte Zentralschweiz.

Als Mutter von drei Kindern und Hundehalterin sind Sie auch privat zeitlich gefordert. Wie bringen Sie künftig alles unter einen Hut?
Genauso wie das Hunde haltende Väter mit drei Kindern tun. Mein Mann und unsere Kinder helfen alle mit, den Familienalltag zu managen. Nun haben wir natürlich keine Kleinkinder mehr und dann ist es einfacher, dass jeder mithilft und seinen Beitrag leistet. Mein Mann wird künftig sicherlich mehr Fahrdienste übernehmen, die ich heute noch mache.

Im Wahlkampf war eines Ihrer zentralen Themen der Ausbau von familienergänzenden Strukturen. Wo liegen hier Ihre Prioritäten?
Bei den familienergänzenden Strukturen im Schulbereich ist festzustellen, dass es grosse Unterschiede bei den Angeboten gibt. Während in vielen Städten und grösseren Gemeinden sehr gute familien-ergänzende Tagesstrukturen (teilweise alle vier Elemente) vorhanden sind, fehlen diese in kleineren oder ländlicheren Gemeinden. Gerade in diesen Gebieten sind familienergänzende Strukturen aber sehr wichtig.

Wie kann man unterstützen?
In erster Linie bedingt das ein gesellschaftliches Umdenken und das Loslassen von traditionellen Rollenmustern. Das ist aber nur ein Aspekt. Nicht zu unterschätzen ist, dass für viele kleinere Gemeinden die Finanzierung der familienergänzenden Strukturen oftmals schwierig ist, obschon der Kanton sich mit einem Pro-Kopf-Beitrag an den Kosten beteiligt. Insofern sehe ich eine Priorität darin, Anreize aufzuzeigen. Eine Investition in diesen Bereich ist in den ersten Jahren eine Aufwandposition. Auf einer längeren Zeitachse betrachtet können dadurch aber für Gemeinden Standortvorteile entstehen, die auch für die Ansiedlung von KMU interessant sind.

Und wie sieht es bei den Kleinkindern bis zum Alter von vier Jahren aus?
Der Bereich der familienergänzenden Strukturen im Frühbereich bildet sich noch etwas anders ab und hier sehe ich mehr Handlungsbedarf. Vor allem auch deshalb, weil der Kanton nicht mitfinanziert. Wichtig ist es auch hier, dass in den Gemeinden ein Angebot für den Frühbereich besteht. Dieses Angebot muss der Nachfrage und dem Bedürfnis der Eltern entsprechen, eine qualitativ hohe Kinderbetreuung gewährleisten und für Eltern so finanzierbar sein, dass sich ihre Erwerbstätigkeit lohnt. Prioritäten seitens Kanton sehe ich beispielsweise darin, sich mit Verbänden und Anbietern dafür einzusetzen, dass branchenübliche Anstellungsbedingungen für Fachpersonen gelten. Die Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung sollte nebst Elternbeiträgen eine Verbundaufgabe von Bund, Kanton, Gemeinden sowie allfälligen Dritten sein.

Welche Rolle hat in Ihren Kita-Vorstellungen die Luzerner KMU-Wirtschaft?
Eine gut ausgebaute Kinderbetreuung ist heute nicht mehr nur ein Instrument der Sozialpolitik und der Standortförderung, sondern auch ein wichtiges Element zur Verringerung des Fachkräftemangels. Insofern sollte es auch der Luzerner KMU-Wirtschaft ein wichtiges Anliegen sein, dass ausreichend Betreuungsmöglichkeiten im Kanton zur Verfügung stehen. Die Rolle der KMU sehe ich darin, sich in den Gemeinden dafür proaktiv einzusetzen, dass Kitas entstehen können. Oftmals lassen sich diese Projekte nur in Zusammenarbeit von Wirtschaft und Gemeinwesen verwirklichen. Synergien knüpfen mit anderen Unternehmen oder Platz-Kontingente für Kinder von Mitar-beitenden anbieten sind einige kreative Lösungsansätze.

Arbeiten Regierungsrätinnen auch im Homeoffice?
Meine Erfahrungen in der Exekutive haben gezeigt, dass man sehr gut auch mal stundenweise oder halbtageweise im Homeoffice arbeiten kann. Der Kanton Luzern ist entsprechend gut digitalisiert. Insofern ist das sicherlich nicht unmöglich. Dennoch ist die Arbeit einer Regierungsrätin sehr stark geprägt von politischem Austausch, weshalb ich davon ausgehe, dass die Homeoffice-Tage überschaubar sein werden.

Ich war noch nicht am Frauenstreik
und habe das auch nicht vor.
Michaela Tschuor, Luzerner Regierungsrätin

Wie erholen Sie sich vom strengen Alltag?
Ich bin gerne in der Natur. Nach einem strengen Tag gehe ich daher oft eine Runde Laufen im Wald. Das hilft mir sehr, den Kopf freizumachen.

Ab sofort werden zwei Frauen im Regierungsrat Einsitz haben. Politisieren diese anders?
Ja, ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen und Männer sehr unterschiedlich politisieren. Dabei geht es weniger um den Inhalt, als mehr um die Art und Weise oder die Kommunikation und das sogenannte «socializing».

Waren Sie auch schon am Frauenstreik?
Nein, das war ich noch nicht und habe ich auch nicht vor.

Sie sind erst als Teenager aus Deutschland in die Schweiz gekommen. Was ist typisch deutsch an Ihnen geblieben?
Ich glaube, mein Hochdeutsch ist immer noch recht gut, aber etwas eingerostet.

Deutsche Chefs denken in der Regel hierarchischer. Schweizer Chefinnen sind sich eher an direktdemokratische Prozesse gewöhnt. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Gegenfrage: Ist das nicht ein bisschen sehr plakativ?

Inwiefern? Die Erfahrung hat uns diese Frage stellen lassen.
Nun denn: Sie behaupten, Schweizer Chefinnen sind sich eher an direktdemokratische Prozesse gewöhnt. Dieser Führungsstil beinhaltet ein hohes Engagement der Mitarbeitenden mit dem Ziel der Vorgesetzen, viele verschiedene Optionen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sammeln. Mitarbeitende zu ermutigen, Ideen und Vorschläge einzubringen, damit die beste Lösung gefunden werden kann und man als Vorgesetze dadurch die Expertise des Teams effektiv nutzen kann. Ich kann Ihnen die Frage wie folgt beantworten: Ich bin Schweizerin.

Als KMU-Vertreterin kennen Sie die Sorgen und Herausforderungen einer Unternehmerin aus erster Hand. Wo drückt der Schuh aktuell am meisten?
Unser KMU-Sorgenbarometer zeigt diverse Themen an. Einige sind branchenübergreifend, andere branchespezifisch.

Welche sind branchenübergreifend?
Da stellt die enorme Bürokratie, die betrieben werden muss, eine grosse Herausforderung dar. Dieser steigende Administrationsaufwand ist in zeitlicher, personeller und schlussendlich auch finanzieller Hinsicht eine grosse Herausforderung für unsere KMU. Eine weitere Sorge ist derzeit der Arbeitskräftemangel, der in allen Branchen spürbar ist.

Und die branchenspezifischen?
Einzelne Branchen leiden bis heute nach wie vor unter den unterbrochenen Lie-ferketten oder der Rohstoffknappheit. In der Branche unseres Unternehmens fehlen beispielsweise nach wie vor sehr viele Medikamente, die wir im Alltag dringend benötigen. Und die Baubranche ist stark belastet durch die Menge an Einsprachen, die Bauprojekte verzögern und dadurch kaum Planungssicherheit gegeben ist. Sie sehen, der Schuh drückt an vielen Stellen und dennoch müssen wir auch ehrlich sagen, dass es unserer kantonalen Wirtschaft recht gut geht.

Inwiefern sind Sie auch in Ihrer Tierklinik vom Fachkräftemangel betroffen?
Den Fachkräftemangel spüren auch wir sehr stark. So fehlt es an Tiermedizinischen Praxisassistierenden oder Chirurginnen und Chirurgen.

Sie sind eine Akademikerin mit Doktortitel. Welchen Bezug haben Sie zur einfachen Berufslehre und den Bedürfnissen der Lehrbetriebe?
In unserem Betrieb bilden wir jährlich fünf bis sechs Tiermedizinische Praxis-assistinnen und -assistenten aus. Von daher kenne ich die Bedürfnisse der Lehrbetriebe einerseits und habe andererseits Einblicke in einige Berufslehren.

Welche erachten Sie als die grössten Herausforderungen für den Kanton Luzern in der nächsten Legislatur?
Es ist sicherlich richtig, von «Herausforderungen» in Mehrzahl zu sprechen. So werden wir uns auch in der kommenden Legislatur mit den Themen der Energiebeschaffung und deren Kosten, dem Flüchtlingswesen, der Spitalplanung und der Gesundheitsversorgung (inklusive steigender Gesundheitskosten) befassen wie mit der Klimastrategie oder dem Bericht «Gesamtmobilität». Zudem stehen viele Grossprojekte im Kanton an, wie das Sicherheitszentrum oder das neue Verwaltungsgebäude. Aber auch für das Thema Durchgangsbahnhof werden wir uns weiterhin stark einsetzen müssen.

Welche sind die grössten Chancen?
Der Kanton Luzern ist ein unglaublich vielschichtiger Kanton und dadurch ein äusserst attraktiver Wirtschaftsstandort. Chancen sehe ich daher vor allem darin, dass wir die Standortvorzüge als Wirtschafts- und Tourismuskanton weiter stärken können. Dazu sollten wir unsere Steuer- und Finanzstrategie weiter vorantreiben und ergänzen um eine innovative Familienpolitik.

Ihre Wünsche an den KGL?
Vom KGL wünsche ich mir, dass er mit mir als Regierungsrätin einen konstruktiven, offenen und inspirierenden Austausch pflegt. Meine Türen stehen jederzeit offen.

Als was für eine Regierungsrätin möchten Sie dereinst in Erinnerung bleiben?
Darüber mache ich mir im Moment keine Gedanken. Mir geht es nun in erster Linie darum, mich auf mein künftiges Amt so vorzubereiten, dass ich mich zum Wohle aller Luzernerinnen und Luzerner voll und ganz einsetzen kann.

 

 

Meine Präferenzen

Lieblingsfarbe: Blau
Lieblingsauto: Volvo
Lieblingsessen: Pasta
Lieblingsgetränk: Kaffee
Lieblingsferiendestination: Nordsee
Lieblingsmusik: Popmusik

 

 

Nach der Art und Weise befragt, wie die Departementsvorsteherin Mitarbeitende führt, sagt die in Deutschland geborene Michaela Tschuor vielsagend: «Ich bin Schweizerin.» (Bild zvg)

Modal zum Teilen dieser Seite
  1. Sie befinden sich hier: Home - KGL
  2. Gut zu wissen
  3. Michaela Tschuor: «Laufen im Wald hilft mir, den Kopf freizumachen»