«Nun kann für lokale Anbieter ein Wettberbsvorteil entstehen»

Seit dem 1. Januar 2023 gilt im Kanton Luzern das neue Beschaffungsrecht für die Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Was ist konkret anders im Vergleich zur Zeit davor für die KMU? Jetzt geht es nicht mehr bloss um den Preis, sondern auch um Qualität und Nachhaltigkeit, sagt René Küchler, Präsident der Vereinigung für das öffentliche Beschaffungswesen. Er schult Anbieter und Verwaltung in diesem Thema.

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Seit Beginn dieses Jahres gibt es beim Beschaffungsrecht der öffentlichen Hand neue Bestimmungen. Eine Informationsveranstaltung Mitte Oktober in Emmen hat gezeigt, dass das Informationsbedürfnis bei den Unternehmen gross ist. Worum drehte sich der Anlass in groben Zügen?
Tatsächlich wurden wir förmlich überrannt mit Anmeldungen. Das Thema scheint also äusserst relevant und aktuell zu sein. Das revidierte Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen trat auf Bundesebene sogar per 1.1.2021 in Kraft und wird nun fortlaufend mit den kantonalen Gesetzgebungen harmonisiert. Aufgrund der geänderten Gesetzgebung ist es uns ein Anliegen, betreffend die Neuerungen generell zu informieren. Ein spezielles Augenmerk richten wir zudem auf die Neuerungen in Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit und der Abkehr des reinen Preis- hin zu einem Qualitätswettbewerb. Da wir mit der Veranstaltung Anbieter – primär aus den Bereichen Planung und Bau – ansprachen, wollten wir anhand praxisnaher Beispiele aufzeigen, was sich geändert hat beziehungsweise was denn mit Nachhaltigkeit genau gemeint ist und wie diese bewertet werden kann.

Was ist seit Januar 2023 anders im Beschaffungswesen als davor?
Während in der Vergangenheit jeweils das wirtschaftlich beste Angebot gewählt wurde, erhält neu das vorteilhafteste Angebot den Zuschlag. Dabei werden qualitative Kriterien weit mehr bewertet als in der Vergangenheit. Der reine Angebotspreis rückt etwas in den Hintergrund. Gerade Kriterien in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sollen hingegen einfliessen. Selbstverständlich greifen diese Änderungen beziehungsweise die erwähnten Kriterien je nach Beschaffungsgegenstand in anderer Form.

Was bedeutet das für die Anbieter von Dienstleistungen und Produkten?
Ganz generell war und ist es für Anbieter zentral, dass bei der Angebotserstellung die gestellten beziehungsweise geforderten Kriterien berücksichtigt werden und diesen Rechnung getragen wird. Nach dem neuen Beschaffungsgesetz geht es nun weniger nur um den Preis. Qualitative Kriterien und die Nachhaltigkeit spielen eine grössere Rolle und sollen entsprechend vom Anbieter hervorgehoben werden. Je nach Situation kann dadurch für lokale und/oder kleinere Anbieter durchaus ein Wettbewerbsvorteil entstehen.

Als Präsident der Vereinigung für das öffentliche Beschaffungswesen schulen Sie die Verantwortlichen von Unternehmen, um an öffentliche Aufträge heranzukommen. Das tönt nach einem komplexen und aufwändigen Thema für Selbstständige. Ist das so?
Das öffentliche Beschaffungswesen weist in der Tat eine gewisse Komplexität auf und schreckt daher immer mal wieder Unternehmer ab, an solchen Verfahren teilzunehmen. Werden jedoch einige wichtige Punkte beachtet und reagieren Unternehmen auf die richtigen, passenden Ausschreibungen, sind solche Verfahren durchaus eine spannende Chance. Die öffentliche Hand darf durchaus als angenehme, krisenresistente, treue und faire Geschäftspartnerin angesehen werden.

Wie soll ein Unternehmer oder eine Unternehmerin vorgehen, wenn er sich um einen Auftrag der öffentlichen Hand bemühen will?
Ganz wichtig scheint uns, dass sich das Unternehmen mit der Ausschreibung und den gestellten Kriterien auseinandersetzt. Die verschiedenen Vorgaben müssen eingehalten werden und damit Kriterien bewertet werden können, sind die nötigen Informationen zu liefern. Auch eine gewisse Förmlichkeit ist zwingend.

Sie schulen aber auch die Verantwortlichen der öffentlichen Verwaltungen. Was für Veränderungen und Herausforderungen hat das neue Beschaffungsrecht aus deren Sicht mit sich gebracht?
Hier geht es vor allem darum, dass das Bewusstsein vorhanden ist beziehungsweise geschärft wird. Die ausschreibenden Stellen müssen wissen und verstehen, was es an Neuerungen gibt und wie diese anzuwenden sind. Qualitative Bewertungs- beziehungsweise Vergabekriterien sind dabei per Definition schwerer zu beurteilen als der reine Preis. Und gerade neue Themen wie Nachhaltigkeit klingen zwar gut – die korrekte, faire und nachvollziehbare Definition und anschliessende Bewertung ist aber je nach Vorhaben eine Herausforderung. Anhand aktueller Praxisbeispielen konnten wir dem Publikum gut aufzeigen, welche Ansätze funktionieren.

In welcher Form und wie oft haben Sie mit den Verantwortlichen der kantonalen Verwaltung vor und nach Einführung des neuen Beschaffungsrecht zusammengearbeitet?
Einerseits waren wir in den politischen Prozess involviert und haben im Rahmen von Vernehmlassungen mitgewirkt. Auch die Zusammenarbeit mit suisse.ing,  der Vereinigung beratender Ingenieurunternehmungen mit ihrem Engagement auf dem Gebiet,  ist für uns sehr hilfreich. Parallel dazu stehen wir in laufendem und regelmässigen Austausch mit unseren Mitgliedern – also sowohl Vergabestellen wie auch Anbieter. Hier war und ist es uns ein Anliegen, den «Puls» zu fühlen und entsprechende Befindlichkeiten möglichst praxisnah aufzunehmen und einzubringen. Seit der Inkrafttretung geht es nun mehr um die Schulungen beziehungsweise die Überführung in die Praxis. Denn viele Fragen kommen jeweils erst anhand konkreter Beispiele, sprich anstehender oder laufender Ausschreibungen, auf.

Hat sich die neue Denkart bei der Vergabe der öffentlichen Aufträge in den Köpfen der Verantwortlichen schon gut verankert?
Darauf eine pauschale Antwort zu geben ist unmöglich. Die Änderungen fliessen erst nach und nach ein. Wir erleben Stellen, die die Neuerungen rasch umsetzen, neue Kriterien einfliessen lassen und so Erfahrungen sammeln. Dabei soll konkret die Qualität der Beschaffungen steigen. Auf der anderen Seite nehmen wir  auch eine gewisse Zurückhaltung und abwartende Haltung wahr. Aktuell fehlen noch richtungsweisende (Gerichts-)Entscheide, was zwangsläufig zu Unsicherheiten führt. Wie aus dem Referat von Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht, zu entnehmen war, sind aber alle zum Handeln und zur Umsetzung der neuen Gesetze aufgefordert.

Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben auf Anbieter- und Verwaltungsseite in absehbarer Zeit?
Mit Blick auf das neue Beschaffungsgesetz geht es in der nächsten Phase sicherlich darum, in der Praxis Erfahrungen zu sammeln und die Neuerungen anzuwenden. Gleichzeitig ist es zwingend, dass das oftmals eher negative Image von öffentlichen Beschaffungen korrigiert wird. Hier braucht es unbedingt gegenseitiges Verständnis auf beiden Seiten, was wir wiederum mit entsprechenden Veranstaltungen und Diskussionen fördern. Gerade die gemeinsame Organisation und die vermehrte Zusammenarbeit unserer Vereinigung mit suisse.ing, dem SIA Zentralschweiz sowie dem KGL trägt dem Rechnung. Die Zeiten sind vorbei, als auf eine Ausschreibung dutzende Angebote eingegangen sind und die ausschreibende Stelle die Qual der Wahl hatte. Je nach Branche und Beschaffungsgegenstand müssen ausschreibende Stellen heute schon fast froh sein, dass Angebote eingehen. Entsprechend sind unnötige Komplexitäten, Formalitäten abzubauen und die Verfahren praktikabler zu gestalten.

Hinweis: Weiterführende Infos zum Thema und den Träger-Organisationen  der Veranstaltung in Emmen finden Sie auf www.oeffentlichesbeschaffungswesen.ch, www.suisse-ing.ch und www.zentralschweiz.sia.ch

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