«Strompreis für gewerbliche Kunden muss so niedrig wie möglich bleiben»

In Zukunft wird es im Gewerbe nur noch sehr wenige Bereiche geben, in denen eine Elektrifizierung nicht vorteilhaft wäre. Davon geht Anthony Patt auf der Basis von jüngsten Analysen aus. Ein Gespräch mit dem ETH-Professor über die Entwicklung der E-Mobilität in der Schweiz – und warum die Begeisterung für diese Technologie in der Bevölkerung eher wieder abgeflacht ist.

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Professor Dr. Patt, wie schätzen Sie die Entwicklung der Elektromobilität im gewerblichen Kontext ein?

In den letzten Jahren hat sich der Markt für batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) im gewerblichen Bereich stark entwickelt, sowohl bei leichten als auch bei schweren Nutzfahrzeugen. Der Hauptgrund dafür ist wirtschaftlicher Natur: BEVs bieten bereits niedrigere Gesamtbetriebskosten (TCO) als Benzin- oder Dieselfahrzeuge. Im Vergleich zu Privatkunden, die sich beim Fahrzeugkauf oft aus emotionalen Gründen entscheiden, achten gewerbliche Käufer sehr auf Kosteneinsparungen. Die mit BEVs verbundenen Kosteneinsparungen werden in den kommenden Jahren wahrscheinlich weiter steigen.

Welche Branchen oder Gewerbezweige könnten Ihrer Meinung nach am meisten von einer Umstellung auf Elektrofahrzeuge profitieren?
Alle Branchen werden wahrscheinlich davon profitieren, aber es ist schwer vorherzusagen, ob eine Branche mehr davon profitieren wird als eine andere. In den letzten zwei Jahren haben wir eine starke Entwicklung bei lokalen Lieferfahrzeugen erlebt, während die Optionen für Langstrecken-LKWs sowie Baumaschinen langsamer gewachsen sind. Jüngste Analysen deuten jedoch darauf hin, dass sich dies ändern und es nur noch sehr wenige Bereiche geben wird, in denen eine Elektrifizierung nicht vorteilhaft wäre.

Welche zentralen Hürden stehen einer vollständigen Elektrifizierung von Unternehmensflotten heute noch entgegen?
Mir sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt. Aus meinen Gesprächen mit Branchenvertretern geht jedoch hervor, dass das grösste Hindernis bei Fahrzeugen besteht, die über längere Zeiträume hinweg mehr oder weniger ununterbrochen in Betrieb sein müssen. In diesem Fall benötigen sie entweder aussergewöhnlich grosse Batterien, die teuer und schwer sind, oder es muss die Möglichkeit einer Schnellladung bestehen, was auch eine hohe Kapitalinvestition erfordert.

Täuscht der Eindruck, dass die Dynamik – auch die «Begeisterung» und Neugierde für E-Mobilität – in der Bevölkerung eher wieder etwas abgeflacht ist?
Nein, absolut nicht. Die interessante Frage ist, warum das so ist, und niemand hat eine definitive Antwort. In gewissem Masse kann es an Fehlinformationen liegen: Die Mehrheit der Europäer glaubt beispielsweise, dass BEVs umweltschädlicher sind als Benziner, obwohl alle guten wissenschaftlichen Studien zeigen, dass dies überhaupt nicht der Fall ist. Vor zwei Jahren gab es Befürchtungen, dass Strom knapp werden könnte, und auch wenn sich diese Situation völlig geändert hat, sind viele Menschen vielleicht immer noch besorgt. Für private Autobesitzer, die nicht in einem Einfamilienhaus leben, ist das Problem des Aufladens ihres Autos über Nacht noch immer nicht gelöst. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass die Autohersteller in diesem Jahr nicht besonders bemüht sind, BEVs zu verkaufen. Dies hat mit der Entwicklung der Emissionsstandards für Fahrzeuge zu tun; in diesem Jahr sind die Standards dieselben wie im Vorjahr, was bedeutet, dass die Autohersteller weiterhin so viele Benziner wie im Vorjahr verkaufen können. Im Jahr 2025 werden die Emissionsstandards strenger, und die Autohersteller werden mehr BEVs verkaufen müssen, um Geldstrafen zu vermeiden. Ich vermute, dass die Verkaufszahlen dadurch wieder anziehen werden.

Welche Rolle spielt die Ladeinfrastruktur, insbesondere für Unternehmen, die häufig unterwegs sind? Wie kann die Infrastruktur in der Schweiz  weiterentwickelt werden, um den Bedürfnissen von Unternehmen noch besser gerecht zu werden?
Für private Autobesitzer ist klar, dass das grösste Hindernis der fehlende Zugang zu Ladestationen an ihrem Wohnort und an den Orten, an denen sie ihr Fahrzeug über Nacht abstellen, ist, während die Anzahl der öffentlichen Ladestationen – z. B. an Autobahnraststätten – zugenommen hat und ausreichend ist. Für Besitzer von gewerblichen Fahrzeugflotten ist die Situation etwas einfacher. Es ist wahrscheinlich, dass die meisten gewerblichen Betreiber von Elektrofahrzeugen hauptsächlich an ihrem eigenen Unternehmensstandort aufladen werden. Bei grossen Flotten, die dies tun, besteht die Herausforderung darin, sich mit dem örtlichen Stromanbieter abzustimmen, um sicherzustellen, dass sie ausreichend Strom aus dem Netz beziehen können. Das Aufladen unterwegs ist eher für Langstrecken-LKWs geeignet und es wird wichtig sein, ein Netz von Schnellladegeräten zu entwickeln, die eine höhere Leistung als für Privatfahrzeuge bieten. Dies beginnt sich erst jetzt zu entwickeln.

Flexibilität beim Laden von Elektro-fahrzeugen kann dazu beitragen, das Stromnetz auszugleichen und die Stromkosten zu senken.
Dr. Anthony Patt, Professor an der ETH Zürich

Wie kann die Politik in der Schweiz Unternehmen besser unterstützen, die auf Elektromobilität umsteigen möchten?
Derzeit geniessen die Betreiber von Elektrofahrzeugen Steuervorteile gegenüber den Besitzern von Dieselfahrzeugen. Es ist wichtig, diese noch einige Jahre beizubehalten, bis sich der Markt gut etabliert hat und klar ist, dass die Einstellung dieser Steuervorteile den Übergang nicht verlangsamen wird. Es ist auch wichtig, dass sich der Schweizer Strommarkt so entwickelt, dass die Preise für gewerbliche Stromkunden so niedrig wie möglich bleiben. In diesem Sinne ist eine fortgesetzte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und den Nachbarländern, die einen robusten Stromhandel ermöglicht, unerlässlich.

Es gibt oft Bedenken in Bezug auf die Umweltbilanz von Elektrofahrzeugen, vor allem in Bezug auf die Batterieherstellung und die Entsorgung. Stichwort seltene Erden, Energiebedarf, Naturschäden (Seen), Batterieabbau nach Ende des Life-Cycles… Wie bewerten Sie diese Problematik?
Als übertrieben. Es ist klar, dass die Batterieproduktion negative Auswirkungen auf die Umwelt hat, und diese müssen reduziert werden, zum einen durch strengere Umweltschutzgesetze in Ländern, in denen Bergbau betrieben wird, und zum anderen durch Richtlinien, die das Recycling von Batteriematerialien sicherstellen. Tatsache ist, dass beides geschieht. Allerdings sind die Umweltauswirkungen der Wertschöpfungskette von Elektrofahrzeugen über den gesamten Lebenszyklus hinweg auch heute noch weitaus geringer als die von Benzin- und Dieselfahrzeugen, was hauptsächlich auf die Umweltauswirkungen von Bohrungen, Transport, Raffination und letztlich der Verbrennung grosser Mengen schmutziger Kraftstoffe zurückzuführen ist.

Gibt es Ihrer Meinung nach noch ungenutzte Potenziale, die Elektrofahrzeuge in der gewerblichen Nutzung ausschöpfen könnten, etwa die Integration in ein grösseres Energiemanagementsystem?
Auf jeden Fall. Stromnetzmodelle zeigen, dass Flexibilität beim Laden von Elektrofahrzeugen dazu beitragen kann, das Stromnetz auszugleichen und die Stromkosten zu senken. Neue Technologien wie das bidirektionale Laden können zusätzliche Vorteile bringen. Wichtig ist, dass diese Vorteile einen Marktwert erhalten. In anderen Ländern – vor allem im Vereinigten Königreich – geschieht dies bereits. Ich vermute, dass es in der Schweiz recht schnell gehen wird.

Zur Person

Prof. Dr. Anthony Patt (59) ist Professor am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich und in den Leitungsgremien der ETH-Zentren für Energiewissenschaften und für nachhaltige Mobilität. Seine Forschung konzentriert sich auf die Zusammenhänge zwischen Technologie, Umweltpolitik und gesellschaftlicher Anpassung an den Klimawandel. Ein wesentlicher Fokus seiner Arbeit liegt auf der Rolle der Politik bei der Förderung von Innovationen im Bereich nachhaltiger Technologien und deren Implementierung, insbesondere im Bereich der Elektromobilität sowie in der Energiepolitik.

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