Urs Furrer, wie charakterisieren Sie sich selbst?
Ich bin ein glücklicher und unkomplizierter Mensch, der gerne unter Menschen ist.
Und wie verstehen Sie sich als Führungsperson?
Als Direktor des sgv muss ich dafür sorgen, dass die richtigen Leute mit den richtigen Fähigkeiten am richtigen Ort sind und das Richtige tun. So kann ich meine Ziele bestmöglich erreichen. Meine Ziele leiten sich aus der sgv-Strategie ab, die ich zusammen mit dem Vorstand weiterentwickle. Wichtig ist, dass alle mitarbeitenden Gremien diese Ziele kennen. Deshalb habe ich die Ziele in meinem ersten Monat im neuen Amt bei den Besuchen von sgv-Mitgliedern stets wiederholt. Allein im Mai war ich an zehn Delegiertenversammlungen von Mitgliederverbänden und habe die Leitung von sieben weiteren Mitgliederverbänden getroffen. Der persönliche Austausch vor Ort mit den Leuten ist für mich zentral. So verstehe ich Führungsarbeit.
Sie haben den Schweizerischen Gewerbeverband sgv in einer schwierigen Situation übernommen. Was reizt Sie an diesem Job?Vieles! Der sgv ist der grösste Wirtschaftsdachverband der Schweiz. Mit seinem Gewicht setzt sich der sgv für weniger Bürokratie und mehr Fachkräfte ein, die das Richtige gelernt haben. In den letzten zehn Jahren führte ich zwei KMU-geprägte Verbände der Lebensmittelbranche. Dort habe ich tagtäglich gesehen, was Regulierung alles auslöst und was das alles kostet. Als Direktor des sgv will ich mich dafür einsetzen, dass sich unser Gewerbe und unsere KMU weniger um Bürokratie und Formulare kümmern müssen. Damit haben sie mehr Zeit für Wichtigeres – beispielsweise für ihre Kunden und für die Ausbildung ihrer Lehrlinge.
Was ist die grösste Herausforderung dabei?
Früher galt der Leitspruch: «Wenn ein Gesetz nicht nötig ist, ist es nötig, das Gesetz nicht zu machen». Heute gibt es immer mehr Grossunternehmen, welche die Regulierung auf internationaler Ebene befeuern. Im Kampf Gross gegen Klein kann Bürokratie für die Grossen ein Vorteil sein. Die Grossen bewältigen Bürokratie mit viel weniger Aufwand als die Kleinen.
Die wirtschaftsfreundliche «NZZ» schrieb, es sei eine Erwartung Ihres neuen Arbeitgebers, dass Sie im Vergleich zu ihrem pensionierten Vor-gänger Hans-Ulrich Bigler einen gemässigteren Ton anschlagen. Korrekt? Und besteht damit die Gefahr, dass der sgv als starke Stimme der Gewerbler künftig weniger wahrgenommen wird?
Es gibt keine Vorgaben. Ich kommuniziere so, wie ich kommuniziere. In einer einfachen Sprache, geprägt von meiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen. Ich nenne Dinge beim Namen und kämpfe mit Engagement für die Sache.
Mit Ihnen als Direktor hat sich der sgv auch neu positioniert. Bigler sprach 2021 noch von einem «Akt der Vernunft», als der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU zu einem Rahmenabkommen abbrach. Nun tönte ihr Chef, sgv-Präsident Fabio Regazzi, in seinem Referat an der KGL-DV an, wie bedeutend der EU-Markt für die Gewerbler sei. Was steckt hinter dem Kurswechsel?
Der Rahmenvertrag war auch im Rückblick nicht mehrheitsfähig. Deshalb war es vernünftig, die Übung abzubrechen. Die laufenden Verhandlungen begrüsst der sgv, das Resultat wird der sgv am Schluss bewerten.
Welchen Punkten im EU-Dossier begegnet der sgv unter Ihrer Führung weiterhin kritisch?
Eine Gesamtbeurteilung wird der sgv vom inhaltlichen Verhandlungsresultat abhängig machen. Insbesondere wollen wir einen Ausbau der flankierenden Massnahmen verhindern. Es gibt aber auch einige Verbesserungen. So ist beispielsweise die Erneuerung des Freihandelsabkommens nicht Teil des Verhandlungspakets, ebenso wie die Guillotine-Klausel.
Die KMU sehen sich seit Jahren mit dem Fachkräftemangel konfrontiert. Was für Pflöcke wollen Sie einschlagen, um dem Problem entgegenzuwirken?
«Pflöcke einschlagen» tönt wahnsinnig gut. In der Realität ist es eine Knochenarbeit, die Ausdauer braucht. Wir müssen dafür sorgen, dass genügend Mittel für die Berufsbildung zur Verfügung stehen. Denn die Berufslehre ist die Antwort des Gewerbes auf den Fachkräftemangel. Auch müssen wir die Bürokratie reduzieren, damit die Unternehmen ihre Energie für die Ausbildung ihrer Lehrlinge verwenden können. Ein wichtiges Projekt ist der «Professional Bachelor». Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Lehre wieder mehr Anerkennung erhält. Den Fachkräftemangel beseitigen wir nicht mit Uni-Absolventen der Geisteswissenschaften, die auf dem Arbeitsmarkt keine Stelle finden, die zu ihrer Ausbildung passt.
Die Personenfreizügigkeit beschert der Schweiz jährlich einen Zuwachs von 80'000 Einwohnern. Das Unbehagen in der Bevölkerung wächst, weil der Dichtestress zunimmt und Mietwohnungen immer teurer geworden sind. Wie sieht ihr Standpunkt in dieser Debatte aus?
Wir müssen so viele inländische Arbeitskräfte wie möglich ausbilden und einsetzen, um den Fachkräftemangel zu beseitigen. Darüber hinaus brauchen wir aber auch ausgebildete oder bildungsfähige Personen aus dem Ausland. Um diese Zuwanderung zu steuern, braucht es eine gescheite Migrationspolitik. Will heissen: Der Arbeitsmarkt mit seinen Bedürfnissen steuert die Migration – und nicht umgekehrt.
Sowohl die Politik als auch die Verbände hatten die Lage völlig falsch eingeschätzt. Und am Schluss hat die Kampagne versagt.
Kerngeschäft der sgv-Strategie bis 2026 ist der Abbau der Regulierungskosten. Was sind die nächsten Schritte in diesem Bereich?
Die Verabschiedung des Unternehmensentlastungsgesetzes im Parlament war ein Erfolg des sgv. Die Vorgaben dieses Gesetzes müssen jetzt konsequent eingehalten werden. So muss der Gesetzgeber bei jedem neuen Gesetz, das er macht, prüfen, welches andere Gesetz dafür abgeschafft werden kann. Aber auch hier ist es Knochenarbeit. Wir müssen eine Unmenge von politischen Geschäften aufmerksam begleiten. Der Regulierungs-Teufel lauert überall. Wir müssen auch eine intelligente Antwort finden auf die Regulierungswelle, welche im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung aus der EU über die Schweiz zu schwappen droht. Hier gilt bei der Regulierung: So viel wie nötig (für den Marktzugang) und so wenig wie möglich (für unsere KMU).
Der sgv hat bei den Abstimmungen im März betreffend Einführung einer 13. AHV und der Erhöhung des Rentenalters zwei schmerzhafte Niederlagen eingefahren. Was werden Sie unternehmen, damit die Argumente der Wirtschaft wieder mehr Gehör finden bei der Stimmbevölkerung vor einem Urnengang?
Halt, da muss ich meine Vorgänger in Schutz nehmen: Das waren nicht Niederlagen des sgv. Sowohl die Politik als auch die Verbände hatten die Lage völlig falsch eingeschätzt. Und am Schluss hat die Kampagne versagt. Dafür war aber nicht der sgv verantwortlich. Mit Blick auf künftige Abstimmungen müssen wir es schaffen, dass das Stimmvolk wieder mehr an die Gewerbler und KMU denkt statt an Manager und Konzerne, wenn von der «Wirtschaft» die Rede ist. Unsere Gewerbler und unsere KMU geniessen das Vertrauen der Bevölkerung. Genau das braucht die Wirtschaft insbesondere bei Volksabstimmungen: das Vertrauen der Leute.