Schüttet eine Kapitalgesellschaft (AG, GmbH) Gewinne an ihre Beteiligten aus, so unterliegen diese Dividenden der Verrechnungssteuer von 35 Prozent. Bei korrekter und periodengerechter Deklaration in der privaten Steuererklärung durch die Begünstigten kann die Verrechnungssteuer vollumfänglich zurückgefordert werden. Dies gilt auch bei «geldwerten Leistungen» wie beim unterpreislichen Leistungsaustausch zwischen Anteilsinhaber und Kapitalgesellschaft oder bei Aufrechnung von geschäftsmässig nicht begründeten Aufwendungen auf Stufe Gesellschaft.
Zeitliche Verzögerung
Die Praxis zeigt, dass gerade bei geldwerten Leistungen die periodengerechte Erfassung auf Stufe Anteilsinhaber regelmässig nicht erfüllt ist. Das rührt daher, dass geldwerte Leistungen meist erst zeitlich verzögert im Veranlagungsverfahren auf Stufe Gesellschaft erkannt werden und dadurch eine entsprechende periodengerechte Deklaration in der privaten Steuererklärung des Anteilsinhabers fehlt. Bisher verfolgten die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) respektive die Kantone eine restriktive Praxis bei der Rückerstattung von Verrechnungssteuerguthaben. Waren die formalen Voraussetzungen bezüglich der ordnungsgemässen Deklaration nicht erfüllt, wurde die Rückerstattung verweigert.
Was hat sich geändert?
Aufgrund der gesetzgeberischen Intervention durch Anpassung von Artikel 23 VStG und dem damit verbundenen neuen Kreisschreiben Nr. 48 der ESTV zeichnet sich eine Liberalisierung bei der Rückerstattungspraxis der Verrechnungssteuer ab. Neu ist, dass eine fahrlässige Nichtdeklaration von verrechnungssteuerbelasteten Einkünften nicht mehr zwangsläufig zur Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs führen muss. Neben dem Tatbestand der Fahrlässigkeit muss die nachträgliche Deklaration oder Aufrechnung in einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Veranlagungs-, Revisions- oder Nachsteuerverfahren erfolgen. Sind die Voraussetzungen kumulativ erfüllt, kann der Rückerstattungsanspruch gewahrt werden.
Rückwirkend per 1.1.2019
Die Änderungen des VStG und auch die neue Praxis der ESTV treten rückwirkend per 1. Januar 2019 in Kraft und gelten generell für Rückerstattungsansprüche, die seit dem 1. Januar 2014 entstanden sind. Die Verwirkungsfrist von drei Jahren zur Einreichung des Rückerstattungsantrags bleibt unverändert. Wird die verrechnungssteuerbelastete Leistung jedoch erst nachträglich im Veranlagungsverfahren oder anlässlich einer Kontrolle beanstandet, so wird dem Steuerpflichtigen neu eine Nachfrist von 60 Tagen zur Einreichung eines Rückerstattungsantrags gewährt.
Was heisst fahrlässig?
Gemäss Publikation der ESTV handelt eine Person dann fahrlässig, wenn sie die Folgen ihres Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf Rücksicht nimmt. Das «pflichtwidrige Verhalten» wird jeweils unter Würdigung der Gesamtheit der Umstände im Einzelfall beurteilt. Dabei werden insbesondere die persönlichen Voraussetzungen wie Ausbildung, intellektuelle Fähigkeiten sowie Berufserfahrung mitberücksichtigt. In der Praxis wird inskünftig die Interpretation der Fahrlässigkeit von entscheidender Bedeutung sein. Es bleibt abzuwarten, wie mit der Auslegung der Fahrlässigkeit von Seiten der Steuerbehörden umgegangen wird. Erste Praxiserfahrungen zeigen, dass hinsichtlich des Tatbestands der Fahrlässigkeit hohe Anforderungen gestellt werden. Auch betreffend Beweislastverteilung sind noch nicht alle Fragen abschliessend geklärt.