«Wind und Alpinsolar helfen, dringend benötigten Winter-Strom zu produzieren»

Die im letzten Winter befürchtete Strommangellage ist bis dato kaum eingetreten. Heisst das, dass wir im Hinblick auf die Energiestrategie 2050 besser unterwegs sind als angenommen? Im Interview sagt CKW-CEO Martin Schwab (56), wie er die aktuelle Lage rund um die erneuerbaren Energien einschätzt und was das für die Stromproduzenten, die KMU und die Endverbraucher bedeutet.

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Im letzten Winter war der Begriff Strommangellage wegen des in der Ukraine ausgebrochenen Krieges und dem Herunterfahren von AKW in Frankreich in aller Munde. Der Schweizer Bevölkerung wurden Tipps zur Reduzierung des Stromverbrauchs im eigenen Haushalt ans Herz gelegt. Doch die Strommangellage ist bis dato nicht eingetreten. Warum?
In erster Linie hat der milde Winter bewirkt, dass weniger Strom benötigt wurde. Zudem hat die Sensibilisierung des Bundes und der Energieversorger dazu beigetragen, dass die Bevölkerung und auch die Unternehmen Strom gespart haben. Weiter ist es in Europa gelungen, das russische Gas durch Flüssiggas aus anderen Ländern zu ersetzen und die französischen Kernkraftwerke sind wieder am Netz.

Bedeutet das Ausbleiben einer Strommangellage im Umkehrschluss, dass wir trotz Ausbau der erneuerbaren Energien bis in alle Ewigkeit sicher sind vor einem Blackout?
Nein, ganz bestimmt nicht. Die gute Nachricht ist: Auch für diesen Winter zeichnet sich keine Strommangellage ab. Entwarnen kann man aber nicht. Wenn sich die geopolitische Lage verschlechtert, plötzlich Kernkraftwerke ausfallen und zudem der Winter richtig kalt wird, kann sich die Situation wieder ändern. Für die Zukunft ist es entscheidend, ob wir genügend CO2-freie Kraftwerkskapazitäten ausbauen können oder nicht. Wir sind in der Schweiz heute überhaupt nicht auf Kurs. Durch den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie werden bis in zirka 20 Jahren knapp 30 Prozent unserer inländischen Produktion wegfallen. Doch bei allen Ausbauprojekten gibt es Einsprachen und Verzögerungen. Zudem werden wir durch den Ersatz von fossilen Energieträgern in den Bereichen Mobilität und Wärme bis in 30 Jahren rund 50 Prozent mehr Strom benötigen. Wenn es uns nicht gelingt, die Produktion massiv zu erhöhen, wird Strom knapp. Das wiederum würde zu höheren Preisen führen. Das wäre Gift für die Wirtschaft, es muss uns gelingen, dies zu verhindern. Hierzu sind wir alle gefordert. Wir alle müssen zu Kompromissen bereit sein und tabulos offen – insbesondere in Bezug auf Produktionstechnologien – alle möglichen Varianten diskutieren.

Die CKW kommunizierte 2022, dass sie bis eine Milliarde in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren will. Mit dem Hauptaugenmerk auf Windparkprojekte, Solaranlagen im alpinen Bereich und Wasserkraftwerke. In welchem Bereich sehen Sie das grösste Potenzial für die Schweiz und insbesondere für die Zentralschweiz?
Grundsätzlich möchte ich nicht die eine Technologie gegen die andere ausspielen. Für eine sichere Stromversorgung benötigen wir eine breite Diversifikation und einen massiven Ausbau. Bei Wind und Alpinsolar sehen wir sehr grosses Potenzial, ebenso bei Geothermie. Es sind alles Technologien, die insbesondere auch im Winter Strom produzieren – dann, wenn er am meisten fehlt. Die Wasserkraft ist praktisch zugebaut, es gibt kaum noch geeignete Gewässer für neue Wasserkraftwerke in der Zentralschweiz. Hingegen kann mit Dammerhöhungen wie beim Göscheneralpsee die Produktion verstärkt in den Winter verschoben werden. In einem Vorprojekt prüfen wir derzeit die technischen, ökologischen, rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte.

Die Luzerner Regierung hat dem Kantonsrat eine Revision des Planungs- und Baugesetzes vorgelegt, um die Verfahren insbesondere für Windkraftwerke zu beschleunigen. Für die Investments der CKW wäre das wohl eine gute Sache. Wie argumentieren Sie gegenüber Landschaftsschützern, die eine Verschandelung der Natur befürchten?
Jede Art von Energieproduktion hat einen Einfluss auf die Umwelt. Bei der Windenergie ist er aber verhältnismässig gering. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden wir in der Schweiz kaum je Windparks mit 50 oder 100 Anlagen bauen, unsere eigenen Projekte umfassen maximal 6 Windräder. Und wenn künftig andere Technologien vorhanden sind, können Windräder nach ihrem Lebenszyklus zurückgebaut und rezykliert werden, ohne künftigen Generationen Abfälle oder verbaute Landschaften zu hinterlassen. Mit Windenergie lässt sich klimafreundlicher und dringend benötigter Winterstrom produzieren. Sie ist zudem eine sehr gute Ergänzung zu Solarstrom. Nur schon ein einziges Windkraftwerk kann bis zu 1’800 Durchschnittshaushalte versorgen. Wenn wir in Zukunft genügend und bezahlbaren Strom wollen, benötigen wir alle Technologien – und es braucht Reservekraftwerke, die im Winter bei Mangellagen zum Einsatz kommen.

Die CKW bietet ihre Dienste auch beim Bau von Photovoltaikanlagen an. Wer bislang als Besitzer einer solchen Anlage Strom ins Netz einspeisen wollte, musste die Kosten für den Netzanschluss selbst bezahlen. Nun steht diese Praxis vor einer Änderung. Die Allgemeinheit soll bei grösseren Anlagen dafür aufkommen. Wie stehen Sie zu diesem kontrovers diskutierten Thema?
Ich verstehe, dass die heutige Regelung bei PV-Produzenten für Ärger sorgt. Die neue Lösung wird dazu führen, dass mehr grössere Projekte – beispielsweise auf Bauernhöfen oder Gewerbegebäude – realisiert werden. Das ist grundsätzlich positiv. Umgekehrt dürfen wir aber nicht vergessen, dass dadurch die Netztarife für alle steigen. Hier braucht es ein gutes Gleichgewicht, damit die Kosten für die Haushalte und die Unternehmen nicht zu stark steigen und es zu einer Entsolidarisierung bei den Netzkosten kommt.

Per Ende 2023 lag der Strompreis an der Strom-Börse so tief wie noch nie seit Ausbruch der Ukraine-Krise. Trotzdem steigen die Stromkosten für die Endverbraucher im CKW-Gebiet. Im Wissen darum, dass die CKW die Strompreise im August, als der Strompreis noch um 40 Prozent höher lag, fürs 2024 festlegen musste: Haben Sie bisweilen ein ungutes Gefühl gegenüber KMU und privaten Haushalten, die auch in anderen Bereichen mit steigenden Preisen zu kämpfen haben?
Wir haben Verständnis, dass das hohe Preisniveau Sorgen bereiten kann. Die Marktpreise sind zum Glück wieder tiefer, aber die Strommarkpreise sind immer noch deutlich höher als in früheren Jahren. Umso mehr sind wir froh, dass wir unsere eigenen Tarife entgegen dem nationalen Trend stabil halten können. Der Aufschlag von 5 Prozent betrifft lediglich die gestiegenen Kosten von Swissgrid und der neu geschaffenen Winterreserve. Die Tarife von CKW gehören zu den günstigeren in der Schweiz. Drei Viertel der Energieversorger in der Schweiz verrechnen mehr als CKW.

Die Axpo als Mehrheitsaktionärin der CKW hat Anfang Dezember auf den aufgespannten Milliarden-Rettungsschirm des Bundes verzichtet, weil sie wegen eines deutlich besseren Geschäftsganges als ursprünglich befürchtet einen Gewinn von fast 3,4 Milliarden erzielte. Spitzzüngig könnte man behaupten, dass die Axpo und der Kanton Luzern als Minderheitsaktionärin der CKW «Kriegsgewinnler» sind und auf Kosten der KMU und Privaten Kasse machen. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf?
Das ist falsch. Axpo wie auch CKW verkaufen den grössten Teil der eigenen Stromproduktion mehrere Jahre im Voraus. Beispielsweise an Unternehmen oder andere Energieversorger. Wer rechtzeitig Strom beschafft hat – beispielsweise bei uns – profitiert von sehr attraktiven Preisen. Das gute Resultat von CKW ist das Ergebnis von verschiedenen Sonderfaktoren, die nichts mit der geopolitischen Lage zu tun haben, unter anderem haben wir unsere Mehrheit an EWA-energieUri verkauft. Unser gutes Resultat macht es möglich, dass wir in den kommenden Jahren viel Geld in den Erhalt und Ausbau der Energieinfrastruktur investieren können. Davon profitieren wir alle.

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